
Der Tag beginnt für Nadine Borree jeden Morgen um 3:30 Uhr. Auch an diesem Montag steht sie um diese Zeit auf und fährt erstmal eine ganze Weile aus dem Brandenburger Umland nach Berlin-Mitte zu ihrem Arbeitsplatz, den Berliner Wasserbetrieben. Die Unternehmenszentrale liegt direkt an der Mühlendammschleuse unweit des Roten Rathauses. Nadine Borree ist an diesem Standort seit eineinhalb Jahren Küchenleiterin, hat aber bereits vor rund 20 Jahren in dem Betrieb ihre Ausbildung als Küchenmeisterin begonnen. „Mich hat es nie woanders hingezogen“, sagt sie, während sie und ihr Team das Mittagessen für den Tag zubereiten.
Heute stehen unter anderem Bio-Kartoffelpuffer mit Apfelmus auf dem Menü. Das Gericht hat bekanntlich viele Namen: Reibeplätzchen, Backes, Fratzen, Klitscher, Bambes oder Reiberdatschi. Der Klassiker schmeckt den meisten. Der Montag in der Kantine ist nämlich süß. Das hat Tradition und wird von allen gut angenommen.
Konzentriertes, aber fröhliches Arbeiten prägt das Treiben in der Küche. Die Puffer werden großzügig portioniert, gebraten, gewendet und warm gestellt. Im Hintergrund läuft das Küchenradio und lässt das soeben vergangene Wochenende nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Gerade singt Michael Jackson, und sonst laufen die besten Hits aus den 80ern, 90ern und von heute. „Wenn du die Puffer jetzt noch anlächelst, schmecken sie gleich doppelt so gut!“, ruft mit einem Lachen eine Kollegin Yannik Duft zu, der gerade am Posten steht.
Yannik wurde ebenfalls wie Nadine Borree von den Berliner Wasserbetrieben ausgebildet. Seine Laufbahn begann vor rund fünf Jahren, und er ist ebenfalls nach seiner Ausbildung hier geblieben, worüber er sehr froh ist. „Es ist schön, dass ich hier weitermachen durfte“, sagt er und während seine Chefin die Transformation der Küche mit Kantine Zukunft in all ihren Umstellungen miterlebt hat, kennt der junge Koch es „nicht anders. Der Prozess war da schon voll im Gang.“

„Wenn du die Puffer jetzt noch anlächelst, schmecken sie gleich doppelt so gut!“

„Wir hatten damals einen ziemlich hohen Convenience-Anteil“, erklärt Borree, „die Speisepläne waren recht altmodisch – typisches Kantinenessen eben.“ Die Vorzüge der Umstellung zeigten sich für alle Beteiligten aber schnell. Seit der Erhöhung des Bio-Anteils wird viel mehr frisches Gemüse gekauft und verarbeitet. Aber auch der Spaß am Kochen steht seitdem mehr im Vordergrund: „Eine Brühe selbst anzusetzen, zu lernen, alle Teile vom Gemüse zu verwenden, anstatt das Brühpulver aus dem Eimer zu nehmen, macht nicht nur Freude, es vermittelt auch einen viel tieferen Zugang zum Kochen, gerade für unsere Auszubildenden.“
Für die Planung bedeutet das, dass man nicht Monate im Voraus Speisepläne erstellen kann, wie in anderen Betrieben üblich. Das erfordert die Kreativität aller im Küchenteam. „Wir werden immer wieder gefragt, ob wir Ideen haben. Wir können uns alle einbringen und Vorschläge machen“, berichtet Yannik Duft, „die Kalkulation und der Preis sind dabei natürlich auch wichtig, aber das gehört zum professionellen Kochen genauso dazu.“
Ob durch ein Lächeln Kartoffelpuffer gleich doppelt so gut schmecken, ist zwar wissenschaftlich noch nicht erwiesen. Fest steht aber: Wer mit Kreativität, Spaß und Blick auf Saisonalität kocht, schafft Gerichte, die auch den Gästen besser schmecken. Der Mut, neue Sachen auszuprobieren, wird belohnt. Man sehe auf jeden Fall, dass das Interesse an vegetarischen und veganen Gerichten stetig steigt. Ein neuer Klassiker ist die Rote Bete mit der Gewürzmischung Zatar und Selleriepüree, die sich fest im Speiseplan etabliert hat. Je nach Saison wird es immer wieder angepasst. Gibt es keinen Sellerie, wird ein Püree aus Möhren gekocht. Nadine Borree dazu: „Wir sehen an den Zahlen, dass immer mehr vegetarische und vegane Gerichte verkauft werden und die Gerichte mit Fleisch teils schon übertreffen. Für jemanden wie mich, die sich privat hauptsächlich vegan ernährt, ist das natürlich eine tolle Sache.“

Mehr Gäste dank gesunder Alternativen

Elisa Nehring und Marc Funke arbeiten beide bei den Berliner Wasserbetrieben und sind an diesem Tag die ersten Gäste in der Kantine. Elisa arbeitet als Vorstandsassistenz, Marc ist Vorstandsreferent im Unternehmen. Beiden gefällt vor allem das abwechslungsreiche Angebot. „Jede Woche gibt es etwas anderes“, berichtet Elisa, „und gerade das vegane und vegetarische Angebot hat sich rumgesprochen.“ Das kann Marc bestätigen: „Das ist zwar keine öffentliche Kantine, aber Mitarbeitende, die für den Senat und das Land Berlin arbeiten, zum Beispiel in der Senatsverwaltung für Finanzen oder im Roten Rathaus, kommen immer häufiger zu uns. Mittlerweile haben wir den Eindruck, dass sogar mehr externe Gäste hierher zum Essen kommen als Mitarbeitende der Wasserbetriebe. Da ich mich selber vegan ernähre, ist mir ein vielfältiges Angebot, das auf Alternativen setzt, wichtig. Und je mehr vegetarische und vegane Speisen angeboten werden, desto mehr Gäste von außerhalb haben wir.“
Zwar gibt es weiterhin Kantinen-Klassiker wie Pommes und Currywurst oder wie heute Gulasch mit Paprika und Nudeln – beliebt bei vielen, auch bei Elisa, sind unterdessen moderne Gerichte wie die regelmäßig angebotenen Bowls: „Die gibt es mal mit und ohne Fleisch und immer mit frischen saisonalen Zutaten. Das ist eines meiner Lieblingsgerichte, auch weil es immer wieder anders ist. Die sind schon ziemlich gut, muss ich sagen.“ Ein wichtiges Meeting ruft die beiden zurück an ihre Arbeitsplätze. Währenddessen läuft der Betrieb an der Ausgabe auf Hochtouren. Crunchtime wie das heute auf Neudeutsch heißt.
Dass die Zusammenarbeit mit Kantine Zukunft so erfolgreich läuft und auch außerhalb des Betriebs so viel positives Feedback bekommt, freut auch Vivien Finke, Fachbereichsleiterin für Betriebsgastronomie bei den Berliner Wasserbetrieben: „Wir haben im Oktober 2019 mit der Zusammenarbeit mit Kantine Zukunft begonnen und haben schon viel erreicht. Wir betreiben die Kantine in Eigenregie und sahen die Möglichkeit, vieles von innen heraus zu verbessern.“ Mittlerweile habe man einen Bio-Anteil bei den Hauptgerichten von 60 Prozent erreicht. Daneben beteiligt sich der Betrieb an der Aktion „Klimateller“. Mittwochs ist Klimatag. Heißt, an diesen Tagen gibt es kein rotes Fleisch, keine Milchprodukte mit mehr als 15 Prozent Fett in der Trockenmasse und man schaut genau hin, wo das Essen herkommt. Stammt der Reis aus Vietnam? Lässt sich das durch italienische Reisnudeln oder Produkte aus Deutschland ersetzen?

„Unser Ziel für 2024 war, 18 Tonnen CO2 durch regionales Essen einzusparen, was uns gelungen ist. Ein charmanter Nebeneffekt war, dass wir dadurch auch eine deutlich bessere Vernetzung zwischen Stadt und Land etablieren konnten. Es gibt gemeinsame Ausflüge mit dem Küchenpersonal zu lokalen Produzenten wie dem Ökodorf Brodowin. „Damit wird auch Bewusstsein dafür geschaffen, dass Bio-Essen nicht gleich teurer sein muss.“ Dazu gehören auch Mut und Lust an Experimenten: „Wir setzen statt auf Soja vermehrt auf Sonnenblumenhack aus Bayern, was als Fleischersatz wirklich gut schmeckt und kurze Lieferwege garantiert. Es wurde eine Mousse au Chocolat mit Kichererbsenwasser gemacht, was alle fasziniert hat, dass das überhaupt geht und so lecker ist. Persönlich weniger begeistert war ich vom Thunfischersatz aus Wassermelonen. Das war speziell, ist aber Geschmackssache. Wir haben es zumindest ausprobiert“, kommentiert Vivien Finke mit einem Lächeln. Für sie bleibt es wichtig, alle Mitarbeitenden des Unternehmens mitzunehmen. Das heißt, auch zwischen den Generationen zu vermitteln. „Es gibt schon einige, die sagen: Bleib mir weg mit den Hirsepuffern. Auf der anderen Seite hat sich marokkanische Gerste in Apfelsaft gekocht, mit Feigen und Datteln als Dauerbrenner entpuppt, obwohl es auf den ersten Blick durchaus eigen aussieht.“
Allmählich endet der Betrieb in der Kantine. Das Küchenradio ist mittlerweile ausgestellt. Sobald es am nächsten Morgen wieder eingeschaltet wird, werden Nadine, Yannik und das ganze Team ihre Gäste wieder glücklich machen. Das wird wieder viel Arbeit, aber es ist Arbeit, die sich jeden Tag aufs Neue lohnt.

Die Zusammenarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben war eines der ersten Projekte von Kantine Zukunft. Gemeinsam wurde hier ein Bio-Anteil von 60 Prozent bei den Hauptgerichten erreicht. Weitere Initiativen wie der Klimateller fördern zudem den Austausch und die Kommunikation unter den Mitarbeitenden.